Liebe Schwestern und Brüder!
„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust…“ dieses Zitat aus Goethes Faust ist zu einem geflügelten Wort geworden. Ich verwende es manchmal, wenn ich mich hin- und hergerissen fühle, wenn ich nicht weiß, wie ich mich entscheiden oder über eine Sache denken soll.
Das heutige Evangelium erzählt zunächst einmal nicht von zwei Seelen, sondern von zwei Frauen, die Jesus in ihr Haus aufnehmen: Maria und Marta. Marta ist die Geschäftige, sie sorgt sich um alles, managt den hohen Besuch, will, dass alles perfekt ist, dass der Gast sich rundum wohl fühlt. Sie wuselt im Haus hin und her, damit am Ende alle zufrieden sind. Maria dagegen setzt sich – wie damals bei Schülerinnen und Schülern üblich – zu Füßen des Meisters und hört ihm einfach zu. Sie hat Zeit für Jesus und für das, was er zu sagen hat. Schon die Vornamen der beiden weisen auf ihre unterschiedlichen Rollen hin: Marta bedeutet „die Herrin“, Maria heißt übersetzt „Meeresstern“. Also die eine „aktiv“ und die andere eher „passiv“.
Wenn wir nun die biblische Erzählung symbolisch betrachten, dann könnten wir sagen, dass das Haus, in dem die beiden wohnen, ein Bild ist für mein Lebenshaus, oder auch für mich als Person. Und somit stünden dann doch Maria und Marta stellvertretend für zwei Seelen, die in meiner Brust wohnen. Es ist zum einen die Marta-Seele, die in mir wohnt und mir sagt: „Du musst alles managen“, „du bist für das und das verantwortlich“, „nur durch Arbeit erlangst du Erfolg und Wertschätzung“, „wenn du es nicht machst, dann macht es keiner“, „streng dich an, leiste was“ usw. Und es ist die Maria-Seele, die mir sagt: „Komm zur Ruhe“, „bleib locker“, „schau auf dich“, „mache dich nicht so verrückt“, „lass auch mal die Seele baumeln“ usw.
Wenn ich ehrlich bin, dann meldet sich bei mir die Marta-Seele, also die geschäftige und wuselige, weitaus öfter, als die Maria-Seele. Vielleicht stößt es mir deshalb auch sauer auf, wenn Jesus im Evangelium sagt: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen“. Der Satz ist dann direkt gegen mich gerichtet oder zumindest gegen einen Teil von mir, der mir einredet, dass ich funktionieren muss, dass ich eine Leistung abzuliefern habe, dass Erfolg und Wertschätzung sich nur an dem bemisst, was ich augenscheinlich vorzeigen kann.
Umso wichtiger ist es, dass mich Jesus im heutigen Evangelium auch auf die Maria-Stimme aufmerksam macht, die es ja auch gibt. Er kann das, weil er ja offensichtlich auch in meinem Lebenshaus, also in mir wohnt. Er ist eine weitere innere Stimme. Und die will keinesfalls die Marta gegen die Maria ausspielen. Er sagt ja zur Marta nicht: „Lass das alles sein, das hat keinen Sinn“, sondern er sagt lediglich: „Maria hat den guten Teil gewählt“, oder man könnte auch ergänzen, damit es deutlicher wird: „Maria hat für jetzt den guten Teil gewählt“. Es geht also nicht darum, Marta und Maria gegeneinander auszuspielen, sondern dass sie sich in meiner Persönlichkeit und in meinem Alltag ergänzen.
Manchmal ist es eben wichtig, dass ich mich kümmere und sorge, anpacke, damit sich etwas bewegt, wie Marta. Am letzten Sonntag hat uns Jesus das Beispiel vom barmherzigen Samariter erzählt; dabei hat er ja genau den Priester und Leviten gerügt, die einfach vorbeigelaufen sind an diesem armen Kerl, der in Not war, weil er von Räubern zusammengeschlagen wurde. Den, der etwas tut, den Samariter, hat er als positives Beispiel hingestellt. Also: es gibt Situationen, da muss gehandelt werden: „Ärmel hoch und los geht’s.“
Aber wenn ich mich nur darauf konzentriere, „ganz davon in Anspruch genommen bin“, wie Marta, dann bin ich schnell überfordert, verausgabe mich und fühle mich schließlich leer und ausgebrannt. Deshalb ist es wichtig, dass sich in mir auch immer wieder die Maria-Stimme rührt und – noch viel wichtiger – dass ich ihr Beachtung schenke.
Maria ist diejenige, die zuhört. „Zuhören“ ist eine hohe Kunst, die – so habe ich das Gefühl - in unserer modernen Gesellschaft immer mehr abhandenkommt. „Zuhören“ bedeutet nämlich sich Zeit nehmen, nicht gleich überlegen, was sage ich jetzt oder was mache ich als nächstes, sich nicht ablenken lassen von Smartphone oder Smartwatch. „Zuhören“ bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu sein und sich voll und ganz auf den Augenblick einzulassen: Ich nehme wahr, was ich höre und lasse es auf mich wirken. Nur so kann „Zuhören“ auch zur Entschleunigung und Entspannung führen.
- Zum Beispiel, wenn ich auf mich selbst höre, auf das, was mein Körper mir sagt, wo er oder eine innere Stimme Stopp-Zeichen setzt: „Bis hierhin und nicht weiter“ oder „jetzt musst du unbedingt an dich denken“ und das nicht überhöre.
- Zum Beispiel, wenn ich auf Gott höre - in mir – der mir sagt: „Du musst nichts leisten, damit du von mir wertgeschätzt wirst. Du bist mein geliebtes Kind. Du bist gut, so wie du bist.“
- Oder wenn ich meinen Mitmenschen zuhöre, weil ein gutes Gespräch mich auf andere Gedanken bringt, aufmunternde Worte mir Mut schenken, der Ratschlag eines guten Freundes hilfreich sein kann.
„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust…“, Maria und Marta. Marta hat oft die Oberhand, Maria sitzt oft still in der Ecke. Doch es kommt darauf an, beiden zu ihrem Recht zu verhelfen. Es gibt Zeiten und Situationen, da sollte eben auch Maria zu ihrem „guten Teil“ kommen – in mir. Vielleicht schon in nächster Zeit?